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Freitag, 18. Mai 2012

Review zu "vergissdeinnicht" von Cat Clarke



Bastei Lübbe (März 2012),
Klappenbroschur, 288 Seiten,
12,99 € [D]


Ein weißer Raum. Und nichts darin als ein Tisch, Stapel von Papier und Stifte. Und Grace. Sie weiß nicht, wie sie in diesen Raum gekommen ist, sie weiß nicht, warum sie dort ist. Und wie sie jemals wieder aus dem endlosen Weiß entfliehen kann. Um nicht verrückt zu werden, beginnt sie, ihre Gedanken niederzuschreiben. Ganz allmählich setzt sich dabei das Puzzle ihrer Vergangenheit zusammen - und Grace spürt: Um sich befreien zu können, muss sie die ganze Wahrheit über sich selbst herausfinden ... (Text- und Bildquelle: Bastei Lübbe Verlag)


Meine Meinung
Grace wacht in einem komplett weißen Raum auf. Bett, Tisch, Stuhl, Wände, Bad - alles weiß. Gesellschaft hat sie nur gelegentlich von Ethan, ihrem Entführer. Er hält sie in diesem Raum fest, bringt ihr Essen und Kleidung zum Wechseln. Die einzige Möglichkeit sich zu beschäftigen hat Grace, indem sie schreibt. Papier und Stifte stehen ihr bergeweise zur Verfügung. Also fängt Grace an, erst zögerlich, dann fast erfreut, ihr Leben schriftlich zu rekapitulieren. Um aus dem Raum zu entkommen? Um herauszufinden, was sie hier soll?

Warum bin ich, wie ich bin? Was für eine komische Frage. Warum ist man so, wie man ist? Gene oder Erziehung? Etwas von beidem? Vielleicht ist man keins von beiden. [...] Und vielleicht war nichts mehr so, wie es vorher war. Vielleicht. S. 102

Als erstes erinnert sich Grace daran, wie sie von Ethan entführt wurde. Bis zu dem Zeitpunkt, als sie in dem Raum aufwacht. Komischerweise hat sie keine Angst vor Ethan, sie findet ihn sogar ziemlich heiß. Ethan selbst ist sehr ruhig und wortkarg, lässt Grace einfach schreiben und sich mit ihrem Leben auseinandersetzten. Anfangs wusste ich gar nicht, was das alles soll. Während Grace von Ethan erzählt und man einiges an Kommunikation zwischen den beiden mitbekommt, habe ich mir meine eigenen Gedanken gemacht, wer Ethan genau sein könnte. Einige Äußerungen brachten mich schnell auf die richtige Spur. Das Ende, soviel kann man hier schon vorwegnehmen, ist dann auch nicht sehr überraschend, aber von der Autorin sehr kreativ umgesetzt. Alles wird aufgelöst, man muss aber etwas seinen Kopf gebrauchen. Außerdem lösen sich einige Dinge aus Grace' Leben, die zuerst sonnenklar erscheinen, nicht ganz so auf, wie man zuerst vermutet hat.

Grace scheint eine Jugendliche mit den normalen Problemen zu sein, die man in diesem Alter eben so hat. Bei Grace sind sie aber noch ein Stückchen schwerwiegender. Sie wächst alleine bei ihrer Mutter auf, der Vater ist fort, hat sich umgebracht. Das Verhältnis zu Mutter schwankt zwischen Gleichgültigkeit seitens Grace und kompletter Zerrüttung. Ich hatte das Gefühl, dass Grace daran nicht wirklich etwas ändern will. Auch wenn die Mutter (die natürlich auch ihre Fehler hat!) ihr etwas Gutes tun wollte, oder ihr ein Stückchen entgegenkommen will, stößt Grace sie zurück.
Eine Tatsache, die mich sehr erschreckt hat, war der zügellose Genuss von Alkohol, vor allem von Grace. Das Glas Wein war praktisch immer zur Hand und bei allen Unternehmungen war massenhafter Alkoholkonsum (auch von harten Drinks) das Hauptthema. Oft hatte ich den Eindruck, Grace ist nur betrunken, oft bis zum Totalabsturz. Diese zwei Punkte, die zerrüttete Beziehung zur Mutter und der zügellose Alkoholkonsum, sind ein begleitendes Nebenthema im Buch, werden aber weiter nicht angesprochen. Für mich ein großer Kritikpunkt! Vielleicht meint die Autorin, nach dem kreativen Ende ändert Grace ihr Leben, auch diese beiden Punkte. Das ist aber ungewiss und für mich schon sehr fraglich.

Der rote Faden im Buch ist Grace' Beziehung zu ihrer Freundin Sal und ihrem festen Freund Nat. Sex, Lügen und Streit. Aber auch Freundschaft und kleinere Lichtblicke. Einiges davon ist wieder ein Stück härter, als es viele Jugendliche trifft. Anderes ist total authentisch und könnte fast jedem von uns bekannt vorkommen. Grace positioniert sich gegenüber ihren Freunden sehr dominant und übt unterschwelligen Druck auf sie auf. Ihr Jungenverschleiß ist enorm, und grundsätzlich ist sie eher die Kehrseite der Wunschvorstellung von einer Tochter. Ihr Verhalten zieht so manchen Rückschlag mit sich, bis das Fass überläuft, sie Ethan trifft und in dem weißen Raum aufwacht.
Das Ende selbst löst die Frage nach dem weißen Raum und Grace' Entführer Ethan. Wie schon erwähnt, muss man etwas seinen Kopf einschalten. Wie sich die Dinge weiterentwickeln, liegt eindeutig im Auge des Betrachters.

Fazit
"vergissdeinnicht" ist ein sehr gut geschriebenes Jugenddrama. Kompromisslos und teilweise hart, aber auch authentisch. Die Story, die Grace von sich selbst rekapituliert, übt einen unmerklichen Sog auf den Leser aus. Man möchte erfahren, was es mit dem weißen Raum auf sich hat, und ob Grace aus ihrem Lebensschlamassel herauskommt. Ich habe Grace' Geschichte gerne gelesen, unzureichend gelöste Kritikpunkte kann ich verschmerzen. Wie viele Vertreter ihrer Art ist auch dieses Drama depressiv angehaucht. Solche Geschichten muss man mögen, damit einem das Buch vollkommen gefällt. Darum ist "vergissdeinnicht" kein Lesemuss, aber eine kleine Bereicherung für jeden, der das Buch liest.

© Damaris Metzger, damarisliest.de